Eine Stimme für den Wandel

Foto: Plan International

Im Lokalradio nimmt Kadiatu kein Blatt vor den Mund. Das Leben der 13-Jährigen war allerdings nicht immer so voller Mut und Träume.

Kadiatu holt einmal tief Luft, ergreift das Mikrofon – und schon ist sie auf Sendung. Zusammen mit anderen Kindern sitzt die 13-Jährige im Studio einer kleinen Sendestation in ihrer Gemeinde im Norden von Sierra Leone und macht Radio. Themen wie Gewalt, Vernachlässigung, Familienplanung oder gar Missbrauch werden angesprochen. Das erfordert Mut, weil das Mädchen weiß, dass ihr draußen an den Empfangsgeräten Hunderte, vielleicht sogar Tausende Menschen zuhören. Menschen, die sie persönlich kennen und denen sie täglich im Dorf begegnen könnte.

„Wenn ich nach Hause kam, gab es noch mehr zu tun.“

Kadiatu (13), Schülerin aus dem Norden von Sierra Leone

Vor solch selbstbewussten Radioauftritten sah der Alltag von Kadiatu noch anders aus: „Jeden Morgen fegte ich den Boden, wusch das Geschirr ab und machte mich dann für die Schule fertig. Wenn ich nach Hause kam, gab es noch mehr zu tun: Wasser zum Kochen bereitstellen, Wasser zum Trinken holen, wieder Geschirr abwaschen und so fort.“

Eine Frau schöpft Wasser
In Sierra Leone holen Frauen traditionell das Wasser Bintu Grace Kamanda
Eine Frau beugt sich über eine Wanne mit Wäsche
Kochen, waschen, putzen und den Haushalt versorgen – in Sierra Leone liegen diese Aufgabe meistens bei den Mädchen und Frauen Bintu Grace Kamanda

Kadiatu stammt aus einer kleinen ländlichen Gemeinde im Bezirk Koinadugu. Sie ist das vierte Kind in einer zehnköpfigen Familie und muss als eine der Ältesten im Haushalt mit anpacken. Dass sie ihrer Familie hilft, ist selbstverständlich. Im westafrikanischen Sierra Leone stehen Mädchen dadurch allerdings häufig vor der Herausforderung, eine Schule besuchen und auch erfolgreich abschließen zu können. Haben sie Zugang zu Bildung, erleben sie in der Schule oft Mobbing, Belästigung, Gewalt bis hin zu sexueller Ausbeutung und Missbrauch – einfach, weil sie Mädchen sind.

Kleine Schritte für einen großen gesellschaftlichen Wandel

Dass sich an diesen Verhältnissen allmählich etwas ändert, hat auch mit dem Radiosender und einem Projekt im Norden von Sierra Leone zu tun: dem SS4G. Es steht für Safer Schools for Girls – einem Vorhaben, das Schulen für Mädchen sichermachen soll. Als ein „Champion des Wandels“ ist die 13-jährige Kadiatu dabei aktiv eingebunden. Sie und die anderen Kinder haben sich zum Ziel gesetzt, gegen geschlechtsspezifische Gewalt in der Schule vorzugehen und ein sicheres Lernumfeld für Mädchen zu schaffen.

Im Rahmen des Vorhabens werden Mädchen und junge Frauen gefördert. Sie gewinnen an Selbstvertrauen, etwa indem sie die freie Rede üben und Radiosendungen gestalten. Gleichzeitig wird dabei die Öffentlichkeit für die Belange der Kinder sensibilisiert. Dadurch soll ein gesellschaftlicher Wandel unterstützt und sichergestellt werden, dass jedes Mädchen sein Potenzial voll ausschöpfen kann.

Ein Mädchen erhebt die Faust
Kadiatu (13) fühlt sich als eine Fürsprecherinnen für den sozialen Wandel Plan International

„Damals wurden Mädchen wie ich nicht gehört, und Gewalt war normal.“

Kadiatu (13), Champion des Wandels in Sierra Leone

„Als das Projekt im Sommer 2020 losging, bin ich einem Champions-of-Change-Club beigetreten“, erzählt Kadiatu. „Er wurde zu meiner Plattform, um mich für Veränderungen in der Schule und Gemeinschaft einzusetzen. Damals wurden Mädchen wie ich nicht gehört, und Gewalt war normal.“ Inzwischen sei das aber anders geworden und die Gemeinschaft verändere sich zum Besseren: „Wir Mädchen sind zu Fürsprecherinnen für den Wandel geworden.“

Mädchen im Radiostudio
Im Studio einer kleinen Radiostation spricht Kadiatu (13, re.) über Themen wie Gewalt, Vernachlässigung, Familienplanung oder gar Missbrauch Plan International

Schritte für einen sichereren Alltag und die eigene Zukunft

Im Rahmen des Projekts wurden an zehn Schulen Champions-of-Change-Clubs eingerichtet, in denen jeweils 15 Mädchen und 15 Jungen beteiligt sind. Gleichberechtigt erforschen insgesamt 300 Kinder Geschlechternormen und hinterfragen die gängigen Rollenbilder. Durch kontinuierliche Diskussionen und Lernen arbeiten die Kinder Hand in Hand daran, tief verwurzelte Überzeugungen zu verändern und die bestehende Machtdynamik in ihren Gemeinschaften infrage zu stellen. Etwa die, dass es nur Mädchen seien, die die Last schwerer Hausarbeit zu tragen hätten.

Bei den wöchentlichen Champion-of-Change-Sitzungen lernen die Kinder auch etwas über Körperbewusstsein, Selbstmotivation und Gleichberechtigung. „Die Sitzungen haben mich selbstbewusst gemacht. Ich kann diese Themen jetzt in der Schule und in meiner Gemeinde offen ansprechen. Früher habe ich gezögert, mich zu äußern, aber jetzt bin ich aktiv und engagiert“, erklärt Kadiatu ihren Werdegang zur Gestalterin lokaler Radiosendungen. „Auch die Gemeinschaft hat sich inzwischen verändert, es gibt weniger Kinderehen und weniger Gewalt.“

„Die Gemeinschaft hat sich inzwischen verändert, es gibt weniger Kinderehen und weniger Gewalt.“

Kadiatu (13), Champion des Wandels in Sierra Leone

Selbst im Unterricht würden die Lehrer:innen die Mädchen mittlerweile ebenbürtig mit den Jungen behandeln. Und auch die Jungen selbst hätten ihren Beitrag zu einem entspannteren Umgang geleistet: „Wir haben gelernt, miteinander zu kommunizieren und uns gegenseitig mit Respekt zu behandeln. Jetzt bitten die Lehrer sowohl die Jungen als auch die Mädchen, das Schulgelände zu fegen, wir machen das jetzt alle gemeinsam.“

Frauen stehen an einem Wasserloch
Bald ein Bild der Vergangenheit? Frauen an einem Wasserloch in Sierra Leone Bintu Grace Kamanda

Und zu Hause? Kadiatu strahlt und berichtet, dass nun auch ihre Geschwister bereit sind, bei der Hausarbeit mitzuhelfen. „Wir arbeiten zusammen, ohne uns zu streiten“, sagt Kadiatu, die eines Tages Krankenschwester werden möchte, und ergänzt: „Als Champion des Wandels war ich bei Radiosendern, um mich für andere Mädchen und Frauen einzusetzen. Das hat mir Motivation und Selbstbewusstsein gegeben, um alle Menschen gleich zu behandeln – und genau das möchte ich als Krankenschwester auch tun.“

Die Geschichte von Kadiatu wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Sierra Leone erstellt.

Übernehmen Sie eine Patenschaft für Kinder

In Sierra Leone unterstützen wir Gemeinden dabei, hochwertige, inklusive Bildung und eine sichere Lernumgebung für alle Kinder anzubieten. Insbesondere Mädchen sowie Kinder mit Behinderungen sollen Zugang zu Bildung erhalten. Plan International ermutigt Jugendliche, an den Entscheidungen in der Gemeinde mitzuwirken und sich aktiv einzubringen. Zudem sollen jugendfreundliche Beratungs- und Informationsangebote zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten geschaffen werden.

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